Der bekannte Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx empfiehlt in diesen Tagen der Corona-Krise die Übung der Re-Gnose ("48- Die Welt nach Corona", auf www.horx.com): Nicht in die Zukunft zu schauen und zu fragen, wann es denn vorbei sein wird mit den Einschränkungen, die derzeit das öffentliche und private Leben so sehr verändern, oder mit der Corona-Krise überhaupt. Sondern von der Zukunft aus zurück ins Heute zu schauen. Der Vorteil einer Re-Gnose liege darin, nicht nur die Gefahren und Probleme zu erkennen, auf die Zukunftsprognosen meist aufmerksam machen und die wie Angst-Barrieren wirken können, sondern uns selbst und unseren inneren Wandel mit einzubeziehen. "Wir setzen uns innerlich mit der Zukunft in Verbindung, und dadurch entsteht eine Brücke zwischen Heute und Morgen. Es entsteht ein 'Future Mind' – Zukunfts-Bewusstheit." Dadurch entstehe "Zukunfts-Intelligenz". "Wir verlassen die Angststarre und geraten wieder in die Lebendigkeit, die zu jeder wahren Zukunft gehört."
In seiner Re-Gnose sitzt Matthias Horx im September 2020 in einem Café und blickt zurück auf die Verzichte, die wir in den Monaten zuvor leisten mussten und die neue Möglichkeiten geschaffen haben, auf Humor und Mitmenschlichkeit, die neu entstanden und gewachsen sind, auf eine nach der Krise wieder erstarkte Wirtschaft, auf neue Werte wie gute Nachbarschaft und einen blühenden Gemüsegarten, die die Fixierung auf Geld und Vermögen aufgebrochen haben. Das klingt alles sehr visionär und positiv. Womöglich werden wir bei der Re-Gnose aber auch zurückblicken müssen auf viele Menschen, die allen Beteuerungen der Politik in den Monaten der Krise zum Trotz ihre Existenz verloren haben, die ihrem einsamen und isolierten Leben durch Selbstmord ein Ende gesetzt haben. Wahrscheinlich werden wir zurückblicken müssen auf eine große Anzahl zerbrochener Beziehungen und stark zugenommene Gewalt in den Familien, die dem Stress nicht gewachsen waren, in Zeiten des Kontaktverbots so viel Zeit gemeinsam und ohne groß soziale Kontakte nach außen verbracht haben zu müssen. Und wir werden zurückblicken müssen auf viele Menschen, die dem Virus erlegen und gestorben sind.
Wer in diesen Tagen auch immer die Anregung zu einer Re-Gnose annehmen wird, sie wird für jeden anders aussehen, je nachdem in welcher persönlichen Situation er sie unternimmt. Wichtig scheint mir in diesen Tagen der Corona-Krise zu überlegen, was nach der Krise wichtig sein wird. Kehren wir einfach zur Normalität zurück? Machen wir genauso weiter, wie es vor der Krise war? Oder birgt die Krise auch die Chance zur Veränderung? Matthias Horx hat Recht: "Jede Tiefenkrise hinterlässt eine Story, ein Narrativ, das weit in die Zukunft weist. Eine der stärksten Visionen, die das Coronavirus hinterlässt, sind die musizierenden Italiener auf den Balkonen. Die zweite Vision senden uns die Satellitenbilder, die plötzlich die Industriegebiete Chinas und Italiens frei von Smog zeigen. 2020 wird der CO2-Ausstoss der Menschheit zum ersten Mal fallen. Diese Tatsache wird etwas mit uns machen. Wenn das Virus so etwas kann – können wir das womöglich auch?" Und wenn wir das können – welche Story wird dann von uns erzählt werden? Vielleicht die, dass wir den Menschen wieder neu in den Mittelpunkt gestellt haben, Solidarität und Mitmenschlichkeit wieder neu entdeckt haben? Und das nicht nur mit schönen Worten, sondern mit Taten, ganz konkret? Dass wir z.B. nicht nur in den Tagen der Krise so oft von "systemrelevanten Berufen" und "Helden" in Einzelhandel und im Pflegebereich gesprochen haben, ihnen Danke gesagt und Applaus geklatscht haben, sondern ihr Lohn ihre Heldentaten nun auch dauerhaft widerspiegelt? Dass das Misstrauen, der Argwohn und der Hass, die vor Corona unsere Gesellschaft immer mehr vergiftet haben, doch nicht das letzte Wort sind? Dass wir das Loblied auf den Fortschritt und eine immer größere Technisierung als das entlarvt haben, was es ist: ein Mythos, der in Zeiten der Krise seine Strahlkraft ganz schnell verloren hat und seine Macht in rasantem Tempo an ein unsichtbares Virus abtreten musste?
Welche Story nach der Krise erzählt werden wird, hängt von uns ab. Von unseren Entscheidungen. Von unserem Mut zur Veränderung. Von unserer Menschlichkeit und unserem Zusammenhalt in unserem gemeinsamen Haus Erde. Wenn uns das gelingt, dann können wir im September 2020 wirklich eine Story davon erzählen, was uns die Krise auch an Positivem gebracht hat. Also, wie Matthias Horx seinen Beitrag schließt: "System reset. Cool down! Musik auf den Balkonen! So geht Zukunft."
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